Verstöße gegen das AGG: wer trägt die Beweislast?
1.Ein Verstoß gegen das Benachtei!igungsverbot des § 81 II SGB IX und des § 7 I AGG begründet i. V. mit § 15 II 1 AGG einen Anspruch auf Zah!ung einer angemessenen Entschädigung in Geld auch wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist.
2.Die Beweislastregel des 22 AGG für eine Benachteiligung wegen eines der in § 1 AGG genannten Merkmale wirkt sich auf die Verteilung der Darlegungslast aus. Der Beschäftigte genügt seiner Darlegungslast, wenn er Indizien vorträgt, die seine Benachteiligung wegen eines verpönten Merkmals vermuten lassen. Dies ist der Fall, wenn die vorgetragenen Tatsachen aus objektiver Sicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen !assen, dass die Benachteiligung wegen dieses Merkma!s erfolgt ist. Werden vom Arbeitnehmer Tatsachen vorgetragen, die jede für sich genommen nicht zur Begründung der Kausalität ausreichen, ist eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Zu prüfen jst, ob die Hilfstatsachen, werden sie im Zusammenhang gesehen, geeignet sind, die Vermutungswirkung zu begründen(BAG, Urteil vom 16.2.2012 - 6 AZR 553/10; NZA 2012, 555).
Der Behindertenbegriff des AGG am Beispiel eines HIV-Infizierten
§ 2 Abs. 4 AGG regelt für Kündigungen nur das Verhältnis zwischen dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und dem Kündigungsschutzgesetz sowie den speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Bestimmungen. Die zivilrechtlichen Generalklauseln werden dagegen von § 2 Abs. 4 AGG nicht erfasst. Ordentliche Kündigungen während der Wartezeit und in Kleinbetrieben sind deshalb unmittelbar am Maßstab des AGG zu messen.
Diese Auslegung führt nicht dazu, dass Kündigungen außerhalb des Geltungsbereiches des Kündigungsschutzgesetzes insbesondere wegen der möglichen Entschädigung nach § 15 II AGG stärker sanktioniert werden als Kündigungen, für die das Kündigungsschutzgesetz gilt. Auch bei Kündigungen, die dem Kündigungsschutzgesetz unterfallen, scheidet eine Entschädigung nach § 15 II AGG nicht aus. Die regelmäßig vorliegende Persönlichkeitsrechtsverletzung soll als solche unabhängig von der Frage sanktioniert werden, ob nach einer unwirksamen Kündigung das Arbeitsverhältnis fortbesteht.
Der Behindertenbegriff des AGG ist maßgeblich, soweit das nationale Recht von einem weiteren Behindertenbegriff als das supranationale Recht ausgeht. Im Übrigen ist der Behindertenbegriff des Unionsrechts zugrunde zu legen.
Eine Behinderung im Sinne des § 1 AGG liegt danach vor, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit eines Menschen langfristig eingeschränkt ist und dadurch -in Wechselwirkung mit verschiedenen sozialen Kontextfaktoren (Barrieren)- seine Teilhabe an der Gesellschaft, wozu auch die Teilhabe am Berufsleben gehört, substantiiell beeinträchtigt sein kann. Auf einen bestimmten GdB kommt es nicht an. Dabei ist allerdings zu beachten, dass das Verständnis von Behinderung nicht statisch ist.
Bei Anwendung dieses Behindertenbegriffs ist eine symptomlose HIV-Infektion eine Behinderung. Eine solche Infektion führt zu einer chronischen Erkrankung, die sich auf die Teilhabe des AN an der Gesellschaft auswirkt. Das gilt solange, wie das gegenwärtig auf eine solche Infektion zurückzuführende soziale Vermeidungsverhalten und die darauf beruhenden Stigmatisierungen andauern.
Für Behinderte, die einen GdB von weniger als 50 aufweisen, ist Artikel 5, RL 2000/78/EG demzufolge der AG angemessene Vorkehrungen zu ergreifen hat, um Behinderte u.a. die Ausübung eines Berufs zu ermöglichen, sofern diese Maßnahme ihn nicht unverhältnismäßig belasten, nicht in nationales Recht umgesetzt worden. Der Gerichtshof der EU hat jedoch zwischenzeitlich ausgeführt, dass und wie Art. 5 RL 2000/78/EG unter Beachtung und in Übereinstimmung mit der UN-BRK auszulegen ist. Im Hinblick darauf ist Art. 2 unter Abs. 4 UN-BRK weder unmittelbar anzuwenden, noch sind die Bestimmungen des AGG völkerrechtskonform auszulegen. Die Verpflichtung zu angemessenen Vorkehrungen ergibt sich vielmehr bei unionrechtskonformer Auslegung des § 241 II BGB aus dieser Bestimmung.
Eine Kündigung eines behinderten AN fehlender Einsatzmöglichkeiten ist nur wirksam, wenn der AG nicht imstande ist, das infolge der Behinderung vorliegende Beschäftigungshinderniss durch angemessene Vorkehrungen zu beseitigen. Dies hat der AG darzulegen.
Die Aufzählung möglicher Vorkehrungen im 20. Erwägungsgrund der RL 2000/78/EG ist nicht abschließend. Ob solche Vorkehrungen den jeweiligen AG im Einzelfall unverhältnismäßig belasten, hat das zuständige nationale Gericht festzustellen, wobei es insbesondere den damit verbundenen finanziellen und sonstigen Aufwand unter Berücksichtigung der Größe und der Finanzkraft des AG.
(BAG, 19.12.2013, 6 AZR 190/12, NZA 2014, 372)